Wie verhandelt die Welt?
Manchmal hängt die Zukunft der Erde von starkem Kaffee ab, den Helfer ihren Politikern in nächtlichen Verhandlungen brauen. Oder davon, ob sich die Delegierten für ein Nickerchen in ein komfortables Hotel direkt am Versammlungsort zurückziehen können. Es sind die kleinen Insignien der Macht, die darüber entscheiden, wie stark oder ohnmächtig ein Staat bei der Weltklimakonferenz in Paris auftreten kann. Dabei sollten formal alle Teilnehmerstaaten gleich sein, um das weltumspannende Ziel der so genannten COP21 zu erreichen: Die Staatengemeinschaft der in der UNFCCC organisierten 195 Länder soll verhandeln, wie die Klimaerwärmung auf zwei Grad begrenzt werden kann, um drohende Dürren und Überschwemmungen noch zu verhindern. Am Ende sollen sich die Staaten verpflichten, möglichst viel CO2 einzusparen und für Schäden durch den Klimawandel in anderen Ländern aufzukommen.
Aber die 21. Klimakonferenz ist auch ein Kräftemessen unter den Nationen. Zwar hat jeder Staat genau eine Stimme bei den entscheidenden Abstimmungen. Wie bei den Vereinten Nationen. Aber die Teilnehmer reisen mit sehr unterschiedlichen Chancen in die französische Hauptstadt. Eine Schar von Helfern oder ein gutes Hotel sind nur der offensichtlichste Ausdruck für den Reichtum und damit auch die Macht eines Landes. Wer wirtschaftlich gut dasteht wie die G20-Staaten, kann das Abschlussprotokoll maßgeblich beeinflussen.
Hommage an die heimischen Industrien
Unabhängig von ihrer Macht aber verhalten sich die Länder in einem entscheidenden Punkt gleich: Sie vertreten alle die Interessen ihrer wichtigsten Industrien. Denn in Paris treffen nicht Anwälte des Klimas aufeinander, sondern vor allem Advokaten nationaler Wirtschaftsordnungen. Sie wollen das Klima soweit schützen, wie es ihnen möglich erscheint, ohne den eigenen Wohlstand abzuwürgen.
Die bislang vorgelegten nationalen Aktionspläne, die so genannten INDCs, lesen sich wie eine Hommage an die bedeutenden Industrien des Heimatlandes. Wer ähnliche Industrien hat, hat ähnliche Interessen, und diese gleichen Interessen schweißen Länder zu einer Art Fraktion zusammen. Länder mit viel Kohle und Erdgas werden am gleichen Strang ziehen und eine Klimafraktion bilden; genauso wie jene Länder, die hauptsächlich Nahrungsmittel produzieren. Jede dieser Klimafraktionen hat ihr eigenes wirtschaftliches Anliegen.
Die Blockierer
Je mehr ein Land von Kohlenwasserstoffen abhängig ist, von Öl- und Gasförderung, desto weniger wird es für den Klimaschutz tun – und weitreichende Vereinbarungen blockieren. Die schwachen Klimaschutzziele von Russland, Australien und Katar beweisen dies. Sie haben es versäumt, ihre Wirtschaft klimafreundlicher aufzustellen. Würden sie für schärfere Ziele eintreten, würden sie ihre wichtigsten Wohlstandstreiber ruinieren.
Die Schwachen
Gerade die schwachen, meist landwirtschaftlich geprägten Länder wie die meisten afrikanischen Länder, fürchten weniger eine strenge Begrenzung des Kohlendioxids. Ihre Wirtschaft wird von Dürren und ausgetrockneten Flüssen bedroht. Sie sind eher bereit, ihren ohnehin schon schwachen CO2-Verbrauch weiter zu reduzieren, haben aber ohne nennenswerte Industrie kaum Macht, ihre Interessen durchzusetzen.
Die Einflussreichen
Auch Europa verficht die Interessen seiner Industrien: Weil Länder wie Frankreich oder Deutschland ihren Wohlstand weniger CO2-intensiven Branchen verdanken, sind sie bereit, ihre Emissionen verhältnismäßig stark um 40 Prozent zu verringern. Weil sie technisch hoch entwickelt sind, können sie ihre Wirtschaftsordnung reformieren und beim Klimaschutz vorangehen. Auch wenn diese Fraktion ihre Chance, ihren Einfluss für das Klima einzusetzen, häufig nicht nutzt. So wie Deutschland etwa, wenn es um die größten CO2-Schleudern geht, die Kohlekraftwerke. Hier konnte sich eine Industrielobby aus Kraftwerksbetreibern, der Gewerkschaft IG BCE und den Ministerpräsidenten aus den Kohle-Bundesländern gegen die Interessen der Klimaschützer durchsetzen.
Die Aufsteiger
Auch die Aufsteiger werden sich in Paris zusammenschließen. Länder wie Indien und Brasilien wachsen zurzeit so schnell wie die Wirtschaften Europas und der USA vor 50 Jahren. Sie pochen auf ihr Recht, dass dieser Aufschwung nicht behindert wird. Sie wollen ihre klimaschädlichen Industrien ausbauen, Kohlekraftwerke errichten und weiterhin massenhaft Kleidung und Haushaltsmaschinen in reiche Staaten exportieren. Sie wollen ihre Bevölkerung satt und wohlhabend machen. Diesem Versprechen verdanken die Regierungen der Aufsteiger ihre Macht. „Viele Inder haben noch keinen Zugang zu Strom und sauberem Wasser“, sagt die indische Delegierte Lavanya Rajamani. „Der Pariser Beschluss muss uns Raum für Wachstum und Entwicklung geben.“ Die Gruppe der Aufsteiger verbraucht pro Kopf noch relativ wenig CO2, das Bruttoinlandsprodukt ist aber schon hoch und wird noch ansteigen – diese Länder werden künftig noch mehr Kohlendioxid verbrennen und erst später einsparen wollen.
Die Aufsteiger werden in diesem Jahr auch vorn mitmischen, wenn es um die Zahl der Delegierten geht. Auch das gehört zu den Insignien der Macht. Jedes Land kann selbst bestimmen, wie viele Delegierte es schickt. Aber während die schwachen Länder von Jahr zu Jahr weniger Teilnehmer zu den Konferenzen schicken, reisen für die einflussreichen Staaten wie Deutschland und die USA in diesem Jahr mehr als 100 Abgesandte an – mehr als jemals zuvor. Arme Länder wie Gambia können oft nur einen oder zwei Delegierte schicken, etwa den Umweltminister und einen Assistenten. Wenn die Verhandlungen bis weit in die Nacht gehen und in vielen kleinen Runden stattfinden, haben kleine und arme Staaten einfach nicht genug Personal vor Ort, um überall dabei zu sein. „Sie sind praktisch vom inner circle ausgeschlossen”, sagt Tanja Brühl, UNO-Expertin an der Frankfurter Goethe-Universität. Eine geschlossene Veranstaltung „zugunsten der reichen Länder“.
Der Riese bewegt sich
In Paris treffen sie alle aufeinander: Einflussreiche und Blockierer, Aufsteiger und schwache Länder. Sie werden versuchen, ihre nationalen Interessen durchzusetzen. Der Verhandlungsspielraum ist eng. Staaten haben sich noch nie zu etwas durchringen können, das ihren ökonomischen Interessen widersprach. Wer so mächtig ist wie die USA, legt die Hände in den Schoß und macht gar nichts. So haben die Amerikaner das Kyoto-Protokoll einfach nicht ratifiziert, das Rahmenabkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen, das erstmals völkerrechtlich verbindliche Zielwerte für den Ausstoß von Treibhausgasen in den Industrieländern festlegte. 2015 will sich der träge Riese offenbar bewegen – in einem Jahr, in dem kalifornische Wälder und Wiesen ausdörrten, Insekten amerikanische Maisfelder leer fraßen und es zu Überschwemmungen in den Südstaaten kam.
Zunächst aber haben die USA und ihre Gleichgesinnten die UNO bewegt. Die mächtige Fraktion hat es geschafft, die Pariser Klimakonferenz nach ihren Wünschen zu formen. Das UN-Klimasekretariat hat es inzwischen aufgegeben, den Staaten Beschlüsse abzuringen, wie sie eigentlich notwendig wären, um die Klimaerwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Zum ersten Mal wird in Paris nicht mehr über die Einsparungen der einzelnen Länder verhandelt. Stattdessen haben die Staaten ihre nationalen Pläne, die INDCs, beim UN-Klimasekretariat abgeliefert. Die UNO hatte nach mehr als einem Dutzend ergebnislosen Verhandlungen beschlossen, es den Ländern selbst zu überlassen, wieviel CO2 sie einsparen wollen, und auf welchem Weg. In Paris wird es nur noch darum gehen, wie häufig die Ziele überprüft werden und welche Sanktionen drohen.
Nationale Interessen, globale Ungleichgewichte
UNO-Klimachefin Christiana Figueres lobt die bislang eingereichten INDCs als „klaren, entschlossenen Aufbruch der internationalen Gemeinschaft”. Und fügt hinzu: „Die nationalen Pläne entsprechen auch den nationalen Interessen – und das ist ihre Stärke.” Niemand werde zu etwas gezwungen.
Mit dem tatsächlichen Ziel, die Erde nicht mehr als zwei Grad aufzuheizen, haben die vorgelegten Pläne nur wenig zu tun. Die großen Industrien, die heute noch auf das Verbrennen von Kohlenwasserstoffen angewiesen sind, müssten viel, viel mehr einsparen. Nach Berechnungen des Bundesumweltamtes dürfte jeder Mensch künftig nur noch gut zwei Tonnen Kohlendioxid pro Jahr verbrauchen – eine Menge, die schon mit einem einzigen Überseeflug hin und zurück überschritten wird. Deutsche verbrauchen bislang fünf Mal so viel Kohlendioxid pro Jahr, Amerikaner acht Mal. Inder stoßen hingegen weniger aus, als ihnen global zustehen würde. Ganz zu schweigen von den Bürgern in den armen Ländern, deren Klimaspur kaum nachweisbar ist.
Annika Joeres, CORRECT!V
Bild: Ivo Mayr, CORRECT!V
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