Zwei Wochen Verhandlung enden vor einer Tür, hinter der Gipfel-Präsident Laurent Fabius im Minutentakt mit den Vertretern einzelner Länder spricht. Er muss mit all jenen Staaten Kompromisse finden, die sich einem Abkommen versperren. Erst dann wird er den finalen Vertragsentwurf präsentieren. Acht Teilnehmer der Klimakonferenz machen sich vor der Veröffentlichung ihre eigenen Gedanken.
Warten auf Laurent
1. Jennifer Morgan, die Strategin
Die Direktorin des globalen Klimaschutz-Programmes des Washingtoner Thinktanks „World Ressources Institute“ empfindet ihre Mitwirkung an diesem Vertrag als persönlichen Auftrag: „Ein großer Teil der Menschheit und der Natur haben unter dem zu leiden, was eine relativ kleine Gruppe von Akteuren unternimmt. Das ist ein Unrecht, das ich ändern möchte“, sagt sie. In den vergangenen eineinhalb Jahren ist die 49-Jährige durch die ganze Welt gereist. Mit Vertretern von insgesamt neun Thinktanks hat sie die Delegierten aus 15 Ländern auf ein neues Abkommen eingeschworen. Sie hat unter anderem dafür geworben, in dem Vertrag festzuschreiben, dass sich künftig alle Staaten für den Klimaschutz verantwortlich fühlen. Bislang beharrt Indien noch strikt auf sein Recht, seinen CO2-Ausstoß weiter zu erhöhen. Für Morgan wird sich jetzt zeigen, ob sich ihre Arbeit ausgezahlt hat.
2. Jeremy Pivor, der Jugendliche
Eine „Dekarbonisierung“ der Weltwirtschaft, wie sie die G7-Staatschefs im Sommer vorgeschlagen hatten, taucht im Vertragsentwurf nicht mehr auf. Stattdessen wird eine „Treibhausgasneutralität in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts“ festgehalten. Das sei nicht ambitioniert genug, sagt Jeremy Pivor, der den Gipfel für eine Jugendorganisation beobachtet. Auf den letzten Metern will er hier noch auf die US-Delegierten Einfluss nehmen. Denn es geht um seine Zukunft.
3. Saleemul Huq, der Lobbyist
Es ist für den Berater aus Bangladesch ein persönlicher Erfolg, dass die Zahl „1,5“ im Vertrag steht. Außer den Vertretern der kleinen Inselstaaten und der am schwächsten entwickelten Länder hatte das kaum jemand auf dem Zettel. Nun heißt es, dass die Staaten die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad und möglichst auf weniger als 1,5 Grad begrenzen wollen. Doch Huq ist noch nicht am Ende seines Weges. Er hat erst dann gewonnen, wenn dieser Formulierung am Ende auch die Staaten nicht widersprechen, deren Wirtschaft von fossilen Brennstoffen und einer kohlenstoffintensiven Industrie abhängt. Der Biologe aus Bangladesch ist sicher: Er sitzt am längeren Hebel.
4. Hans Joachim Schellnhuber, der Wissenschaftler
Dem Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) geht – wie auch anderen Wissenschaftlern, die am Freitag auf dem Klimagipfel zu Wort gekommen sind – der Vertragsentwurf nicht weit genug. Selbst wenn sich die Staaten auf eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad festlegten: Im Text fehlen alle Vorgaben, wie das erreicht werden soll. Die freiwilligen Selbstverpflichtungen der Länder drücken die Erderwärmung auf etwa 3 Grad. Ohne eine Dekarbonisierung – also die Umstellung der Weltwirtschaft auf ein Leben ohne fossile Brennstoffe – könnten 2 Grad Begrenzung nicht erreicht werden, und 1,5 Grad erst recht nicht.
5. Dallas Goldtooth, der Aktivist
So häufig wie keine andere Gruppe haben die indigenen Völker in den letzten Tagen auf dem Konferenzgelände demonstriert. Zu ihrer Enttäuschung haben ihre Rechte bislang trotzdem nur eine kleine Erwähnung im Abkommen gefunden. Auch ihre Grundforderungen – Dekarbonisierung und Förderungsstopp der fossilen Brennstoffe – wurden nicht berücksichtigt. Haben sie jetzt noch die Hoffnung, dass in Paris ein versöhnlicher Vertrag entsteht?
6. Vânia Bueno Cury, die Kommunikationstrainerin
40.000 Menschen versammeln sich zum Klimagipfel, 3500 Meetings werden abgehalten, im Vertragsentwurf steht das Ziel einer maximalen Erderwärmung von unter 2 Grad, mit der Bemühung 1,5 Grad einzuhalten. 100 Milliarden Dollar pro Jahr sollen für Klimafinanzierung bereitstehen. Viele Fakten, viele Zahlen. Nur wann genau die Weltgemeinschaft ihre selbstgesetzten Klimaziele überprüfen wird, steht noch nicht fest. Die brasilianische Delegierte Vânia Bueo Cury fragt sich, ob es dieser Konferenz nicht an Herz und Seele fehlt.
7. Hans Verolme, der Berater
In der Nacht auf Freitag hat Hans Verolme nur drei Stunden geschlafen. Monatelang hat er die Delegierten einzelner Staaten auf diesen Gipfel vorbereitet. In Workshops hat er sie geschult, worauf es im Vertragstext zu achten gilt. Er hat ihnen erklärt, wie man mit den Vertretern anderer Länder so verhandelt, dass man einerseits eine gute kommunikative Ebene miteinander findet und andererseits seine Ziele durchsetzt. Er gehört zu einer Gruppe von Beratern, die das Schmiermittel der Klimagipfel-Maschine bilden. Doch bei der vermutlich letzten Nacht dieses Gipfels kann auch er nur noch zuschauen.
8. Ilka Wagner, die Delegierte
Selbst Ilka Wagner, die stellvertretende Delegationsleiterin, kann jetzt nur noch warten. Ihre Arbeit ist getan, es kommt auf die Ministerin und ihre Berater an. Ilka Wagner hat solche Situationen schon erlebt: Ein beinahe ausverhandeltes Papier liegt auf dem Tisch, eine Einigung steht bevor – und dann geraten die Dinge wegen weniger Streitpunkte so durcheinander, dass sich der Schlussakt immer weiter nach hinten verschiebt. Auch diesmal gilt das ungeschriebene Vorwort der Klimakonferenzen: Die Verhandlungen sind erst vorbei, wenn sie vorbei sind.
Ein Beitrag von Christian Frey, Tina Friedrich, Hanna Halfon, Babette Hnup, Philipp Katzer, Max von Klitzing, Moritz Olsen, Kai Schächtele, Jan M. Schäfer und Nina Zimmermann