"Wir haben ein Recht
auf Entwicklung"

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Die Kohle der anderen

Susheel Kumar hat in Paris einen der härtesten Jobs. Der indische Delegationsleiter muss dafür kämpfen, dass sein Heimatland auch in Zukunft fossile Energien verfeuern kann. Er fordert deshalb, dass erst die Industrieländer sauberen Strom produzieren sollen, bevor sie dasselbe von Indien verlangen. Es ist der größte Streitpunkt.

Jetzt muss sich Susheel Kumar kurz räuspern und das Lächeln verschwindet aus seinem Gesicht. Gerade eben hat er noch über die Pläne seiner Regierung für eine Solarrevolution gesprochen. Zum Gipfelbeginn hatte sein Ministerpräsident Narendra Modi eine Allianz vorgestellt, in der 120 Länder mit billigen Solarstrom-Systemen Energie in die ländlichen Regionen bringen wollen. Mit umgerechnet 85 Millionen Euro wird Indien diese Allianz finanzieren, die es selbst geformt hat. Bis 2030 möchte Indien 40 Prozent seines Strombedarfs aus erneuerbaren Energien gewinnen.

Doch als der Leiter der indischen Delegation merkt, dass das Gespräch die Sonne jetzt verlässt und sich auf den Weg macht zur schmutzigen Kohle, kühlt sich die Stimmung ab. Er weiß, was jetzt kommt, und er ist darauf vorbereitet. Indien ist nach China und den USA zum drittgrößten Kohlendioxid-Produzenten aufgestiegen.

Ein Abkommen ohne Indien wäre sinnlos

"Kohle ist die einzige verfüg- und bezahlbare Energiereserve."Susheel Kumar

Die Augen richten sich in Paris auch auf die Inder, weil jedes Abkommen sinnlos wäre, das Indien nicht zum effektiven Klimaschutz verpflichtet. Bis 2020 möchte Indien seine Kohle-Produktion verdoppeln. Für viele Kritiker ist das, als pumpe Indien Luft in einen Ballon, der bereits kurz vor dem Platzen steht. Kumar dagegen pocht darauf, dass Indien auch in Zukunft das Recht hat sich zu entwickeln. Es ist einer der größten Streitpunkte bei dieser Klimakonferenz.

Seine Verteidigungsfront besteht aus drei Linien. Erstens: Indien hat mit seinen Reduktions-Zielen für Treibhausgase unter Beweis gestellt, dass es dem Land ernst ist mit dem Klimaschutz: minus 33 bis 35 Prozent bis 2030 im Verhältnis zu seinem Bruttosozialprodukt gegenüber 2005. Zweitens: In Indien haben immer noch 300 Millionen Menschen keinen Zugang zu Strom.

Deshalb sollen die Staaten voran marschieren, die seit Beginn der Industrialisierung für zwei Drittel des gesamten Kohlendioxidausstoßes verantwortlich sind. Drittens: Mit Sonne und Wind allein kann man kein 1,3-Milliarden-Volk mit Strom versorgen. Es braucht Gas, Atomkraft oder Kohle für die Grundversorgung. Kohle ist im Land die einzige verfüg- und bezahlbare Energiereserve. Aber das sei, so sagt er, beileibe nicht nur in Indien so.

Erst müssen sich die Industrieländer bewegen

Der studierte Physiker verfolgt sehr genau, wie schwer sich die Deutschen mit dem Ausstieg aus der Kohle tun. Selbst dem vermeintlichen Vorzeigeland der Energiewende ist es in diesem Jahr nicht gelungen, eine Abgabe auf Braunkohle-Kraftwerke durchzusetzen. Da braucht niemand mit dem Finger auf sein Land zu zeigen – das ist seine Haltung. Erst sollen sich die bewegen, die das Schlamassel zu verantworten haben, dann die, die sich noch entwicklen müssen. So lautet die Maßgabe, auf die seine Regierung die indische Delegation für diese Verhandlungen eingeschworen hat. Indien unterscheidet nach wie vor strikt zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, auch wenn der CO2-Ausstoß Indiens zum Beispiel den von Deutschland inzwischen bei weitem übertrifft.

Als die Weltgemeinschaft 1992 die Klimarahmenkonvention verabschiedete, unterschied sie noch explizit in Industrie- und Entwicklungsländern. Deutschland gehörte zur ersten, Indien zur zweiten Gruppe. Doch die Welt hat sich seitdem stark verändert. Zu Beginn des Gipfels sagte die deutsche Umweltministerin Barbara Hendricks: „Den Antagonismus dieser Unterscheidung müssen wir überwinden.“ Für ihren Staatssekretär Jochen Flasbarth, der sie bis Anfang kommender Woche vertritt, ist diese Überwindung eine rote Linie: Die deutsche Delegation wird kein Abkommen akzeptieren, in dem die Unterscheidung bestehen bleibt.

Jeder soll künftig zum Klimaschutz beitragen

"Entwicklung ist ein Menschenrecht."Indischer Umweltminister

Die Sorge ist, dass alle Verantwortung im Kampf gegen den Klimawandel vorerst bei den Industrieländern bleibt und sich auch die Länder entziehen, die schon längst stark und groß genug sind, um sich zu engagieren. Jeder soll künftig den Teil zum Klimaschutz beitragen, der in seinen Möglichkeiten liegt, sowohl bei der Reduzierung der Emissionen als auch bei der Finanzierung der Anpassung an den Klimawandel.

Für Susheel Kumar ist seine Linie mindestens so rot wie die der Deutschen. Länder wie Indien verlangen das Recht, sich bis zu dem Niveau zu entwickeln, auf dem die reichen Länder seit Jahrzehnten stehen. Im Vorfeld des Gipfels sagte der indische Umweltminister: „Entwicklung ist ein Menschenrecht. Dass die Erderwärmung den Punkt erreicht hat, an dem wir gerade stehen, ist nicht unsere Schuld.“

Susheel Kumar ist sich bewusst, welche Kämpfe in den kommenden Tagen noch vor ihm liegen werden. Er ist sich nicht sicher, wie sie ausgehen werden. Doch eines weiß er genau: Er wird es nicht persönlich nehmen, wenn jemand gegenüber Indien Vorwürfe erhebt. Er wird sie mit dem Argument vom Verhandlungstisch wischen, dass man über sein Land einfach nicht genug wisse. Sein Lächeln hat er da längst wiedergefunden.

Das „Zusammen“ ist genau der Knackpunkt. Indien und Deutschland haben eine sehr unterschiedliche Auffassung davon, was dies bedeutet. Deutschland versteht darunter „gemeinsam“. Für Indien bedeutet es „gerecht verteilt“. Diese Kluft zu schließen, ist die größte Herausforderung, die der Gipfel zu meistern hat. Kumar macht nicht den Anschein, als mache ihn das nervös. Seine Verteidigungslinie steht. Das Räuspern des indischen Delegationsleiters werden die Deutschen hier noch oft hören.

Zum Beitrag auf Tagesschau.de

Kai Schächtele
Video: Philipp Katzer und Christian Frey
Foto: Christian Frey

4 Kommentare zu
Die Kohle der anderen
  • Susheel Kumar hat völlig recht, von Deutschland einen Ausstieg aus der Kohle zu fordern. Die deutsche Position ist unglaubwürdig so lange bei uns noch Kohle verstromt wird. Das ändert nichts daran, dass indische Kohlekraftwerke für das Weltklima brandgefährlich sind. Hier müssen Deutschland und Europa handeln und sowohl Vorbild sein als auch Anschub für Innovation leisten.
    In Indien könnte so viel passieren! Sonnenenergie, Windenergie, „Tretmaschinen“-Energie könnten für eine dezentrale Stromversorgung sorgen. Alleine die Umstellung der Millionen stinkenden Rikshas auf ein effektives Elektrostandardfahrzeug würde so viel verändern! Stattdessen zurück in die Vergangenheit mit Kohle und Atomstrom… so retten wir einen für uns bewohnbaren Planeten nicht.

  • Zwergallwissend schreibt:

    Machen wir uns doch bitte nichts vor – wenn das Erdöl zur Neige geht, dann werden im Ruhrgebiet auch wieder die Kohlegruben geöffnet – das wird mittel- bis langfristig geschehen – denn es wird keine wirkliche Alternative geben.

  • „WIR HABEN EIN RECHT AUF ENTWICKLUNG“!?
    ABER KEIN RECHT DAS LEBEN VON UNS ALLEN ZU RISKIEREN!!!Es gibt keinen Grund warum Indien glaubt davon ausgenommen zu sein, und schon gar keinen Grund gibt es für wohlhabende Länder kein Vorbild zu sein!
    Solange es aber nicht zu dramatischen Folgen mit Millionen von Toten kommt, wird sich da leider nix tun!
    Der einzige Ausweg ist EIGENVERANTWORTUNG! Konsequentes Verhalten im Umgang mit Produkten die unseren Planten und unsere Lebensgrundlagen verschmutzen und vernichten! PLASTIK: SACKERL- FLASCHEN- SPIELZEUG usw, Öl, Importprodukte nur weil billiger! einfach so weit als möglich nicht kaufen oder verwenden! Nur wir Konsumenten können die Produzenten zwingen umzudenken!
    Und WIR alle die wir genug und mehr haben könnten ohne Problem 20% zurückschrauben, und allen jenen die gerade mal genug und weniger haben 10% und mehr dazu legen!

  • Jørgen schreibt:

    Die indische Position waere nachvollziehbar, wenn es eine Vereinbarung gegeben haette, mit welcher zeitlichen Verzoegerung Indien die Umstellung in den Industrielaendern nachholt. Das haette auch die alten Industriestaaten motiviert. Dies haette aber als Forderung gegen u.a. Indien konkretisiert werden muessen. Nichts dergleichen ist gehoert worden.

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